Asset-Klassen können gleichzeitig teuer und günstig sein. Warum das kein Widerspruch ist, es immer auf den Blickwinkel ankommt und warum man die Frage trotzdem zufriedenstellend beantworten kann, schauen wir uns in diesem Beitrag an.
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Von Schnäppchen und Teurigkeiten
Noch etwas übernächtigt vom langen Flug New York-Düsseldorf freue ich mich, dass mich ein alter Herr aus der Nachbarschaft meines Heimatdorfes am Flughafen abholt. Zuhause gehen wir in den Frühschoppen, um kurz ein Bier zu trinken. Für die 0,5l Bitburger bezahlen wir jeweils 4,50 €. „Wow, Schnäppchen!“ sage ich. „Was für eine Teurigkeit!“ seufzt der alte Herr. Vorab: Der alte Herr ist schon lange tot und hätte mich natürlich niemals einfach so am Flughafen abgeholt, weil er tatsächlich den Begriff Teurigkeit erfunden hat (glaube ich). Das Beispiel hilft uns aber trotzdem.
Aus New York bin ich noch an knapp 9 € für ein Bier ähnlicher Größe gewöhnt. Der alte Herr hat aber vor ein paar Wochen den halben Liter Bitburger im Frühschoppen noch für 4 € bekommen. Wir bewerten den Preis also beide „relativ“ – ich relativ zu einem Bier in New York, er relativ zu einem Bier vor ein paar Wochen. Was für mich günstig ist, ist für ihn teuer.
Neben dieser vergleichenden, „relativen“ Bewertung können wir Wertpapiere auch „intrinsisch“ bewerten, d.h. ihren inneren Wert ermitteln. Ob der Preis für eine Anleihe günstig oder teuer ist, hängt ganz wesentlich auch davon ab, wie hoch ihr Kupon (Zins) ist. Je mehr Zinsen eine Anleihe abwirft, desto mehr werden wir auch bereit sein, dafür zu bezahlen. Für diesen Beitrag genügt uns aber die oben beschriebene relative Bewertung, die für die meisten von euch sicher auch die einfachere, intuitivere ist.
Performance der Asset-Klassen 2022
Um die Angelegenheit nicht übermäßig komplex zu gestalten, sehen wir uns in der Folge vor allem den Zeitraum seit dem Jahreswechsel 2021/2022 bis in den Herbst 2022 an. Natürlich könnten wir uns beliebige Zeiträume ansehen, aber mit den Lieferkettenproblemen, Inflation und dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich in diesem Zeitraum sehr viel bewegt und wir haben um uns herum gesehen, dass sich der Wind dreht.
Fangen wir mit den Aktien an: Es gab im DAX tatsächlich vereinzelt auch Gewinner wie z.B. die Deutsche Telekom. Für die meisten Aktien ging es aber südwärts, sodass der DAX zuletzt um die 20% unter seinem Stand zum Jahreswechsel notierte.
Noch härter erwischte es die Anleihen: Der Kurs einer 30jährigen Bundesanleihe sank seit Anfang des Jahres um ca. 45%. Wenn man bedenkt, dass deutsche Staatsanleihen als besonders sicher gelten, stark nachgefragt werden und deshalb vergleichsweise mild bestraft wurden, kann man sich vorstellen, wie es im Durchschnitt der Anleihemärkte aussieht.
Bei den Immobilien fällt das Verallgemeinern wie üblich schwerer. Global betrachtet sinken die Preise, wie ich an der Entwicklung des Immobilienfonds in meinem Depot ablesen kann. Der dortige Verlust von ca. 20% ist auf dem deutschen Wohnimmobilienmarkt noch nicht zu beobachten. Allerdings können wir auch hier schon beobachten, dass das Angebot an zu verkaufenden Objekten steigt (ein Freund checkt das regelmäßig für die Stadt Köln auf einer Plattform), während die Nachfrage bei den deutlich gestiegenen Darlehenszinsen einbricht. Höheres Angebot, niedrigere Nachfrage? Ihr wisst schon…
Die Rohstoffpreise kann man zwar auch nicht alle über einen Kamm scheren, aber wer von euch mit Holz, Gas, Öl, Benzin, usw. zu tun hat, wird das mehr oder weniger dezente Gefühl haben, dass der Trend hier umgekehrt verläuft. Und so ist es auch: Der Rohstofffonds in meinem Depot, der die Entwicklung von knapp 30 verschiedenen Rohstoffen widerspiegelt, hat um ca. 30% seit dem Jahreswechsel zugelegt.
Stellvertretend für die Entwicklung der Edelmetallpreise dient hier einmal mehr das Gold: Seit Jahresanfang liegt es gut 5% im Plus (wenn man den Kurs in Euro zugrunde legt). Intuitiv hättet ihr sicher vermutet, dass der Preis stärker gestiegen sein müsste. Immerhin gilt Gold als Krisenwährung und noch dazu als inflationsfest. Dafür hat das Edelmetall aber die äußerst blöde Angewohnheit, nur schön auszusehen und selten zu sein. Im Gegensatz zu Aktien, Anleihen und Immobilien wirft es keine Erträge wie z.B. Zinsen ab und im Vergleich zu Rohstoffen wie Gas und Öl wird es nicht industriell verarbeitet. Weil die Zinsen deutlich gestiegen sind, entgehen dem Goldkäufer nun mehr potentielle Erträge als zuvor. Das wirkt preisdämpfend auf Gold.
Last but not least schauen wir uns noch kurz alternative Investments wie z.B. Private Equity, Optionsscheine oder Kryptowährungen an. Nun ja, wir sehen sie uns sehr kurz an, weil wir hierzu wirklich keine pauschalen Aussagen treffen können: Die alternativen Investments haben sich je nach Asset völlig unterschiedlich entwickelt (Was sind nochmal alternative Investments? Und Anleihen? Hier entlang.)
Und welche Asset-Klasse ist nun günstig?
Welche Asset-Klasse nun günstig oder teuer ist, hängt von zahlreichen objektiven Faktoren wie dem Betrachtungszeitraum, der Bewertungsmethode, etc. ab und ist am Ende des Tages dennoch ein subjektives Empfinden.
Relativ betrachtet können wir aber durchaus sagen, dass im Vergleich zum Jahresanfang Anleihen inzwischen sehr viel günstiger, Aktien viel günstiger, Immobilien etwas günstiger, Gold etwas teurer und Rohstoffe sehr viel teurer sind. Wer also nun in Rohstoffe investiert, muss sehr viel Vertrauen haben, dass die Preise weiter steigen werden. Wer umgekehrt Anleihen nun für ein Schnäppchen hält, sollte sich allerdings auch fragen, ob sie ihren Boden schon erreicht haben. Am leichtesten hat es, wer jährlich regelbasiert investiert: Er wird den gleichen Betrag wie jedes Jahr anlegen, allerdings in diesem Jahr relativ wenige Rohstofffonds und relativ viele Anleihen kaufen. Wie genau das funktioniert, schauen wir uns in einem späteren Beitrag an.
Fazit: Was der eine für teuer hält, ist für den anderen günstig. Genauso können Aktien vergleichsweise günstig sein, während Rohstoffe vergleichsweise teuer sind. Obwohl es also objektiv teuer und objektiv günstig nicht gibt, können wir uns durch diese relative Betrachtung eine zufriedenstellende Meinung bilden, die für manche Anlagestrategien schon ausreicht.