Heiße Aktien-Tipps

Aktien-Tipps gibt es wie Sand am Meer, vor allem, wenn die Börsen Rekordstände erklimmen. Was das alles mit Milchmädchen und, schlimmer noch, mir selbst zu tun hat, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Nö, keine Aktien-Tipps von mir!

Schon aus wertpapierrechtlichen Gründen wäre ich ziemlich dämlich, wenn ich in diesem Blog Aktien zum Kauf oder Verkauf empfehlen würde. Dazu kommt noch, dass ich nicht von mir behaupten kann, in den letzten 40 Jahren einen besonders Riecher für die „richtige“ Aktie gehabt zu haben. Das liegt sowohl an den 40 Jahren als auch an dem Riecher (zumindest manchmal). Ich bilde mir zwar ein, eine gute Strategie zu haben und glaube, für die nächsten Jahrzehnte inzwischen gute Aktien gekauft zu haben.

Weil aber meine Ideen nicht zu euren Fehlschlägen werden sollen, werdet ihr von mir keine heißen Aktien-Tipps bekommen. Sollte ich in der Zukunft über einzelne Aktien oder Fonds schreiben, so werde ich stets über meine eigenen Erfahrungen berichten und erklären, warum ich Aktie A gekauft und Aktie B nicht gekauft oder verkauft habe. Die Informationen zu meinen Entscheidungen werden also vergangenheits- und nicht zukunftsbezogen sein.

Starinvestoren, Analysten und Milchmädchen

Natürlich gibt es Menschen, die tatsächlich einen Riecher für die richtigen Aktien haben. Warren Buffett zum Beispiel, der Jahrhundert-Investor, liegt mit seiner Rendite nun schon seit Jahrzehnten im Schnitt deutlich über der Rendite des breiten amerikanischen Marktes. Dummerweise sagt Buffett, wie nach meiner Erfahrung die meisten langjährigen (!) Starinvestoren, eben gerade nicht, was er bald gedenkt zu kaufen. Ihnen wäre auch mit einer gesegneten Kerze nicht zu helfen, denn sie investieren Milliardenbeträge, die groß genug sind, um Kurse zu bewegen. Warum sollte Buffett uns sagen, dass er plant, weitere Aktien von Apple zu kaufen? Investoren würden in Scharen zugreifen, sodass Buffett schließlich selbst einen höheren Preis je Aktie zu zahlen hätte.

Doch zum Glück gibt es die Analysten der großen Investment-Häuser. Diese Jungs und Mädels haben im Gegensatz zu mir BWL studiert, sind in ihrer Zunft gründlich ausgebildet worden und spezialisieren sich meistens auf bestimmte Branchen (und Aktien-Tipps). Sie verfügen über weitaus umfangreichere Quellen als ich und können die Unternehmen, die sie „covern“, meist auch direkt befragen.

Welche Medikamente von Bayer sich gerade in den Phasen 1, 2 oder 3 befinden, kann noch jeder dem Geschäftsbericht entnehmen. Wie hoch die Zulassungschancen sind und wieviel Umsatz ein neues Medikament generieren kann, das wissen die Analysten aber definitiv besser als ich. Das Problem ist, dass die Damen und Herren bezahlt werden müssen. Und für mich ist es entweder gar nicht oder nur sehr mühsam herauszufinden, wer die Studie bei wem bestellt hat. Ist es die Investment-Bank und hat sie ggf. ein Interesse daran, dass die analysierte Aktie vermehrt gekauft wird, weil sie sie selbst im Depot hat?

Hinzu kommt, dass Analysten zwar einen fairen Preis für die Aktie nennen, ich aber zumindest nicht genau nachvollziehen kann, wie der faire Preis berechnet wurde, bzw. was der Analyst angenommen hat (hohes Wachstum, sinkende Kosten, etc.). Als Informationsquelle helfen Analystenkommentare deshalb sicherlich, aber ich vertraue nie blind darauf.

Ein untrügliches Zeichen für das nahende Ende eines Börsenaufschwungs sind Aktien-Tipps von Freunden und Bekannten, deren Plan zum Vermögensaufbau sich noch vor einem halben Jahr an dem Plan eines Spaniers mit dem Codenamen „Professor“ orientierten, die Notenbank auszurauben (ich hoffe die Anspielung funktioniert). Ein Freund erzählt dazu immer die Geschichte des amerikanischen Börsianers, der kurz vor dem großen Crash 1929 alle seine Aktien verkaufte, als der Schuhputzjunge vor der Börse begann, ihm Aktien-Tipps zu geben.

Dieses Phänomen nennt man auch „Milchmädchen-Hausse“, weil in dieser Börsenphase selbst die schwach begüterten und völlig unerfahrenen Milchmädchen Aktien erwerben. Wenn aber selbst die an der Börse investiert sind, kann es nicht mehr so viele andere geben, die noch einsteigen und damit die Kurse weiter in die Höhe treiben können. Wenn ihr also eines Tages Aktien-Tipps von eurer Dreijährigen bekommt: Alarmstufe Rot!

Mein genialster Schachzug

Falls euch das alles noch immer nicht ausreichend vor heißen Aktien-Tipps gewarnt hat, gebe ich hier meinen (bisher) genialsten Schachzug aus dem Sommer 2020 zum besten. Nachdem der Bilanzbetrug ans Licht gekommen war, fiel die Aktie von Wirecard von etwas über 100 Euro binnen weniger als zwei Wochen auf ca. 1 Euro. Ich war nicht in Wirecard investiert. Das Geschäftsmodell – ein anderes als bei klassischen Banken – fand ich zwar spannend, aber ich verstand es nicht genug, um die Aktie zu kaufen. In besagten zwei Wochen waren einige Bekannte blöd genug, den steilen Kursverfall als einmalige Chance zum Einstieg in ein Zukunftsunternehmen mit Rabatt zu nutzen. Als sie reihenweise Bruchlandungen hinlegten, sonnte ich mich in meiner weisen Entscheidung.

Dann geschah etwas Seltsames: Binnen zweier Börsentage begann der Kurs plötzlich wieder zu steigen, zunächst von 1 Euro auf etwa 4 Euro – 400% Rendite für diejenigen, die bei 1 Euro zugegriffen hatten. Ich las einige Artikel dazu und stieß auf die Erklärung der Analysten: Einige Töchter des Konzerns waren tatsächlich gesund und profitabel. Diese stünden mit dem Insolvenzantrag nun zum Verkauf und wirkten unternehmenswerterhöhend.

Postwendend schaute ich mir die Bilanz der Wirecard AG an, nahm einen Taschenrechner zur Hand und kam zu dem Ergebnis, dass alleine diese Töchter sich zu einem Börsenkurs von etwas über 10 Euro je Aktie summierten. Bei einem Kurs von ca. 6 Euro griff ich beherzt zu und investierte gut 1.300 Euro, was, entgegen landläufiger Meinung in meinem Bekanntenkreis, eine nicht unerhebliche Summe für mich war. Als der Kurs knapp drei Wochen später unter 2 € fiel, zog ich dann endlich die Reißleine und verkaufte mit einem Verlust von etwas unter 1.000 €.

Immerhin betrieb ich danach eine schonungslose Fehleranalyse und fand, neben der schon ganz grundsätzlich dämlichen Idee, genau diese Aktie zu kaufen, zwei folgenschwere Denkfehler. Erstens musste die Bilanz, die ich mir angesehen hatte, logischerweise die fingierte Bilanz sein, denn eine Neue war ja nicht veröffentlicht worden. Zweitens hatte selbst Wirecard inzwischen eingeräumt, dass in der Bilanz angegebene Guthaben auf Treuhandkonten in Höhe von fast zwei Milliarden Euro gar nicht existierten. Diese zwei Milliarden hätte ich ja mal vom errechneten Unternehmenswert abziehen können, ich törichter Narr. Das gute Ende an der Geschichte: Das Lehrgeld hatte eine Höhe, die mich nicht existenziell bedrohte, war aber auch hoch genug, um mir eine schmerzhafte Lektion zu erteilen.

Fazit: Aktien-Tipps sind nicht per se schlecht, zumal sie nicht nur von Scharlatanen, sondern auch von seriösen Menschen kommen können. Ihr solltet einem heißen Aktien-Tipp aber nicht einfach blind folgen, sondern euch selbst gründlich informieren und dann eine fundierte Meinung bilden. Hätte ich mich gründlich informiert, wäre ich nicht für drei Wochen stolzer Wirecard-Aktionär geworden!

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen