Den fairen Unternehmenswert errechnen Investoren, um eine Grundlage für informierte Kauf- oder Verkaufsentscheidungen treffen zu können. In diesem Beitrag sehen wir uns drei weit verbreitete Methoden zur Ermittlung an.
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Warum man den Unternehmenswert ermittelt
Angenommen, ihr wollt einem Freund ein gebrauchtes Smartphone abkaufen. Er möchte dafür noch 300 € haben. Die wenigsten von euch werden einfach einschlagen und die Scheine auf den Tisch legen. Stattdessen informiert ihr euch: Wie alt ist das Gerät? Hat es Schäden oder funktioniert es einwandfrei? Was würde es kosten, das gleiche Modell neu vom Elektrohändler zu kaufen?
Ganz ähnlich verhält es sich auch mit Investitionen in Unternehmen, sei es auf direktem Wege oder über Aktien. Habt ihr euch für die Selbstständigkeit entschieden und plant, einem Cafébesitzer sein Lokal abzukaufen, weil er in den Ruhestand geht, müsst ihr euch mit ihm auf einen Kaufpreis einigen. Das klingt zunächst einfacher, als es wirklich ist, denn der angebotene Verkaufspreis und eure Zahlungsbereitschaft können weit auseinanderklaffen.
Auf solchen privaten Märkten wie auch im Wertpapierhandel haben sich über Jahrzehnte drei Methoden entwickelt, anhand derer Investoren den fairen Unternehmenswert ermitteln können. Diese Methoden und die gängigsten Untervarianten werden wir nachfolgend jeweils kurz am Beispiel des Cafébesitzers beleuchten, ohne dabei allerdings zu sehr in Details zu versinken.
Ermittlung des Unternehmenswerts anhand der Bilanz
Den Unternehmenswert anhand der Bilanz zu ermitteln ist vermutlich eine der intuitivsten Methoden. Im Kern zielt sie darauf ab, die Vermögenswerte des Unternehmens (Aktiva) zu addieren und von ihnen sämtliche Schulden der Firma abzuziehen. Übrig bleibt dann das Eigenkapital des Unternehmens und das ist im Prinzip das, was ihr erwerben wollt.
Bezogen auf das Café würdet ihr euch daher fragen, welche Vermögenswerte zu dem Unternehmen gehören. Das können die Räumlichkeiten sein und das Grundstück, auf dem sie stehen; die Möbel in den Räumlichkeiten und der Kaffeevollautomat, die Küche, Geschirr, Fahrzeuge, etc. gehören ebenso dazu. Vielleicht hat der Besitzer auch einiges an Bargeld auf dem Firmenkonto oder seine Kunden „auf den Deckel“ schreiben lassen, also offene Forderungen, die noch beglichen werden.
An dieser Stelle gibt es zwei Varianten, auf die ihr zurückgreifen könnt. Ermittelt ihr die Vermögenswerte nach dem Liquidationswert (oder Substanzwert), stellt ihr euch die Frage, was ein Verkauf jedes einzelnen Vermögenswerts an Erlös bringen würde. Der Kaffeevollautomat ist womöglich schon in die Jahre gekommen und würde beim Verkauf nur noch ein Bruchteil dessen einbringen, was er gekostet hat. In aller Regel handelt es sich bei dieser Variante um die konservativste Schätzung des Unternehmenswerts. Anwenden würdet ihr sie wohl nur, wenn das Café ohnehin kurz vor der Insolvenz steht.
Ermittelt ihr den Unternehmenswert hingegen anhand der Reproduktionskosten, fragt ihr euch, wieviel die Beschaffung (theoretisch: die Wiederbeschaffung) der Vermögenswerte des Cafés kosten würde. Bleiben wir beim Kaffeevollautomaten: Ein Gerät genau diesen Alters und dieser Güte ist womöglich kaum zu bekommen; ohne könnt ihr ein identisches Café aber nicht betreiben. Deshalb ermittelt ihr, was ihr zu heutigen Preisen ausgeben müsstet, um die gleichen Vermögenswerte des Cafés (wieder) zu beschaffen. Nach dieser Variante würdet ihr im Gegensatz zum Beispiel oben von einer Fortführung des Geschäfts ausgehen.
Ganz gleich, nach welcher dieser beiden Varianten ihr die Vermögenswerte errechnet habt: Um den Wert des Eigenkapitals zu ermitteln, müsst ihr vom Vermögen noch die Schulden der Firma abziehen. Dazu gehören langfristige Darlehen ebenso wie kurzfristige Verbindlichkeiten, z.B. auf der Firmenkreditkarte. Bei den Schulden habt ihr übrigens nicht das Problem, Werte schätzen zu müssen. 100.000 € Kredit der Hausbank sind auch genau 100.000 € wert, denn die Bank wird die Rückzahlung genau dieses Nominalwertes verlangen.
Wie geht ihr im Falle einer börsennotierten Kapitalgesellschaft vor? Nun, ihr müsst euch von der Website des Unternehmens den Geschäftsbericht besorgen und den Abschnitt zur Bilanz heraussuchen. Dort kämpft ihr euch Zeile für Zeile durch die Vermögenswerte und ermittelt ggf. auch anhand des Anhangs der Bilanz, wieviel diese wert sind. Nach Abzug der Schulden ergibt sich das von euch errechnete Eigenkapital, das ihr dann durch die Anzahl der umlaufenden Aktien dividiert, um so einen fairen Aktienkurs zu ermitteln.
Glaubt ihr dem Rechnungswesen des Unternehmens, könnt ihr auch auf das ausgewiesene Eigenkapital (auf der Passivseite der Bilanz) zurückgreifen und dieses durch die Anzahl der Aktien dividieren. Dieser Buchwert des Eigenkapitals kann allerdings in beide Richtungen markant von dem abweichen, was ihr selbst anhand der Liquidationswert- oder der Reproduktionskostenmethode errechnen würdet.
Ertragswert und discounted cash flow
Nun wisst ihr, dass das Café bei den Kunden beliebt ist und einen ordentlichen Ertrag abwirft. Natürlich wird euch der Besitzer einen Vogel zeigen, wenn ihr nach der im vorherigen Abschnitt skizzierten Methode den Wert des Eigenkapitals berechnet habt. „Mein Café wirft jedes Jahr 50.000 € Gewinn nach Kosten, Zinsen und Steuern ab. Meine loyalen Kunden und das Geld, das sie hier lassen, haben auch einen Wert!“ Da hat er natürlich recht.
Die zweite Methode zur Ermittlung des Unternehmenswerts setzt daher nicht bei den vorhandenen Vermögenswerten, sondern der Ertragskraft der Firma an. Im Kern stellt ihr euch bei dieser Vorgehensweise die Frage, wieviel ihr bereit seid zu investieren, um jedes Jahr 50.000 € netto zu erwirtschaften, die dann an euch persönlich ausgeschüttet werden könnten. Wichtig ist hierbei, von den Umsätzen des Unternehmens auch wirklich alle Kosten abzuziehen; dazu zählen eben nicht nur die eingekauften Kaffeebohnen, sondern auch Gehälter für Angestellte, Zinsen auf Darlehen und fällige Steuern.
Geht ihr anhand der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) des Cafés vor, interessiert ihr euch also vor allem für den Jahresüberschuss. Nehmen wir vereinfachend an, dass die GuVs der vergangenen Jahre kontinuierlich 50.000 € Jahresüberschuss ausweisen und ihr nach sorgfältiger Abwägung davon ausgeht, dass sich auch in Zukunft – theoretisch für immer – nichts daran ändern dürfte. Ihr erinnert euch kurz an diesen Blog und überdenkt eure finanziellen Ziele: Ca. 7% Rendite pro Jahr traut ihr auch einem langfristigen Investment in ETFs zu.
(Hinweis: Nach Steuern sind es eher etwas mehr als 5%. Da auch bei Gewinnentnahme aus dem Café je nach Rechtsform nochmal unterschiedlich hohe persönliche Steuern anfallen, ignorieren wir die Steuern hier aus Vereinfachungsgründen.)
Ein eigenes Café ist natürlich etwas anderes als ein ETF-Portfolio im Depot. Vielleicht bleiben die Kunden doch plötzlich aus, weil eine neue Pandemie zu lockdowns führt, oder ihr werdet krank und könnt nicht selbst kellnern. Deshalb entscheidet ihr kraftvoll, dass ihr für dieses höhere Risiko auch eine höhere Rendite von dem Café erwartet, nämlich 10%. Die Preisfrage lautet also: Wieviel müsstet ihr in eure Alternative, das ETF-Portfolio, investieren, um auf die angestrebten 50.000 € pro Jahr zu kommen? Und wieviel darf euch der Erwerb des Cafés höchstens kosten, um mindestens auf 10% Rendite pro Jahr zu kommen?
Mathematisch ist das auch für Otto-Normalverbraucher ein Klacks: 7% Rendite von eurer Anlagesumme in ETFs sollen gleich 50.000 € sein. Also dividiert ihr 50.000 € durch 7% und erhaltet eine notwendige Anlagesumme von rund 715.000 €. Diesen Betrag müsstet ihr in ETFs investieren, um (durchschnittlich!) 50.000 € Ertrag pro Jahr zu erwirtschaften. Im Fall des Cafés dividiert ihr die angestrebten 50.000 € durch 10% (eure dort höhere Renditeerwartung). Das ergibt 500.000 €, also ein deutlich geringeres Investment als im Falle des ETF-Portfolios. Der Kauf zu diesem Ertragswert rechnet sich also, wenn der Cafébesitzer einwilligt.
Gerade Value-Investoren misstrauen allerdings dem Ertragswert, oder genauer gesagt der Gewinn- und Verlustrechnung. Das hängt vorwiegend damit zusammen, dass gerade größere und komplexere Unternehmen über zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten verfügen, den Jahresüberschuss zu „frisieren“. Unser Cafébesitzer könnte z.B. dem örtlichen Kegelverein anbieten, das jährliche Sommerfest mit 500 Gästen auszurichten. Der Umsatz daraus beläuft sich auf 40.000 €, wovon nach Abzug der Kosten 10.000 € Gewinn übrigbleiben. Dem Kegelverein wird ein Zahlungsziel von sechs Monaten eingeräumt.
Bei den Verkaufsverhandlungen argumentiert der Cafébesitzer, dass dieses Fest nun jährlich stattfinden könnte und für die Zukunft davon auszugehen ist, dass die 10.000 € Gewinn zu einem neuen Jahresüberschuss von 60.000 € führen. Also verlangt er nun auch den neuen Ertragswert als Kaufpreis, nämlich 600.000 €. Anfang des Jahres – ihr seid nun neuer Eigentümer – beichtet euch der Vorsitzende des Vereins, dass er die Rechnung nicht bezahlen kann. Gleichzeitig steht die Zahlung einer Kreditrate für euch an. Da ihr nun nicht genug Geld auf dem Konto habt, seid ihr zahlungsunfähig.
Das Problem: Der oben genannte Umsatz von 40.000 € war zwar in der GuV eine Einnahme, der aber aufgrund des großzügigen Zahlungsziels von sechs Monaten keine Einzahlung gegenüberstand. Value-Investoren bevorzugen daher die Kapitalflussrechnung (im Englischen „statement of cash flows“) eines Unternehmens, die die Zahlungseingänge und -ausgänge widerspiegelt. Nur Zahlungsmittel, die Jahr für Jahr dem Eigentümer zur Verfügung stehen, zählen nach dieser Sichtweise wirklich.
Hat der Investor die theoretisch an den Eigentümer auszahlbaren, freien Zahlungsmittel („free cash flows“) ermittelt, ähnelt diese „discounted cash flow“-Methode wieder dem oben beschriebenen Ertragswertverfahren: Der Unternehmenswert ergibt sich aus der Division des nachhaltig erzielbaren free cash flows durch den sogenannten Abzinsungs- oder Diskontfaktor, in unserem Beispiel 10%.
Wie gelangt ihr vom Unternehmenswert eines börsennotierten Unternehmens zum entsprechenden fairen Aktienkurs? Ganz einfach, indem ihr den errechneten Unternehmenswert durch die Anzahl der in Umlauf befindlichen Aktien dividiert. Liegt nun der tatsächliche Aktienkurs unterhalb des von euch ermittelten fairen Kurses, könnte die Aktie unterbewertet und ein Kauf sein.
Ein abschließender Hinweis zu diesem Abschnitt: In den oben beschriebenen Beispielen gehen wir implizit davon aus, dass sich die Erträge von 50.000 € pro Jahr bis in alle Ewigkeit so fortsetzen. In den Wirtschaftswissenschaften spricht man bei der erläuterten Berechnungsformel daher auch von der „ewigen Rente“. Tatsächlich geht die Ermittlung des Unternehmenswerts auch zumeist von dieser Prämisse der fortgeführten Geschäftsaktivität aus.
Da Jahresüberschüsse jedoch in Wirklichkeit schwanken und die Schätzung des Diskontfaktors eine Wissenschaft für sich ist, ist die Berechnung in der Realität etwas komplexer als oben beschrieben. Außerdem haben wir uns in diesem Abschnitt implizit auf die leichter zu erklärende Equity-Methode im Ertragswert-, bzw. discounted cash flow-Verfahren konzentriert. Daneben existiert noch die Entity-Methode, die zunächst den Firmenwert – nicht nur jenen des Eigenkapitals – errechnet und davon anschließend die Schulden subtrahiert.
Ermittlung des Unternehmenswerts über die relative Bewertung
Die dritte hier vorgestellte Methode zur Ermittlung des Unternehmenswerts ist wiederum etwas intuitiver verständlich, weil wir alle sie Tag für Tag anwenden. Bei der relativen Bewertung stellt ihr euch im Kern die Frage, wieviel vergleichbare Unternehmen wert sind und entscheidet so, welchen Kaufpreis ihr bereit seid zu zahlen. Das machen wir auch, ohne uns dessen auf so abstraktem Niveau bewusst zu sein, beim Vergleichen von Butter- oder Immobilienpreisen.
Bezogen auf das Beispiel unseres Cafébesitzers würdet ihr also recherchieren, welche Cafés in letzter Zeit verkauft worden sind und welcher Kaufpreis dabei gezahlt wurde. Wichtig ist, hier auf die größtmögliche Vergleichbarkeit zu achten: Die Verkäufe sollten kürzlich erfolgt sein, Größe und Kundenzahl möglichst gleich sein und die Cafés auch räumlich nahe beieinanderliegen. Im Prinzip müssten auch noch eine Reihe anderer Faktoren ähnlich ausfallen, aber die genannten Beispiele sollten für ein Grundverständnis genügen.
Habt ihr auf diese Weise herausgefunden, dass ähnliche Unternehmen in letzter Zeit für 600.000 – 650.000 € den Besitzer gewechselt haben und bietet der Gastwirt sein Café für 500.000 € zum Verkauf an, könnte euch ein Schnäppchen gelingen. Könnte, wohlgemerkt: Die relative Bewertung wird wie schon erwähnt durch die Nebenbedingung erschwert, wirklich vergleichbare Transaktionen zu analysieren. Verfügt die Vergleichsgruppe etwa über einen größeren Gästestamm, kann deren höherer Verkaufspreis durchaus gerechtfertigt sein.
Investoren, die Aktien auf Grundlage der relativen Bewertung erwerben, greifen zumeist auf geläufige Multiplikatoren (im Englischen „multiples“) zurück. Das wohl bekannteste unter ihnen ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV): Man errechnet es, indem man den aktuellen Aktienkurs durch den Gewinn je Aktie zu dividiert. Noch bequemer gestaltet es sich, das KGV von einem qualifizierten Portal im Internet wie Yahoo Finance, Morningstar oder Ariva zu beziehen. Dort finden sich zumeist auch weitere multiples wie z.B. das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) oder Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV).
Liegt nun der multiple eines Unternehmens unterhalb der multiples vergleichbarer Unternehmen, signalisiert dies eine Unterbewertung der Aktie, die sich folglich für einen Kauf empfiehlt. Neben der schon erwähnten Bedingung, wirklich vergleichbare Unternehmen auszuwählen (die Allianz und Porsche haben sicher grundverschiedene Geschäftsmodelle), solltet ihr hier auch immer prüfen, ob es vielleicht einen anderen guten Grund für die vermeintliche Unterbewertung gibt. Der Kurs einer Aktie (und das KGV) kann auch deshalb niedrig sein, weil das Unternehmen im Trend Jahr für Jahr weniger verdient.
Die drei Methoden zur Ermittlung des Unternehmenswerts im Vergleich
Es bietet sich an, die Bewertungsmethoden von defensiv (oder konservativ) nach offensiv zu sortieren. Unter defensiv verstehe ich dabei, dass die Methode einen tendenziell (zu) pessimistischen oder geringen Unternehmenswert ergeben wird; unter offensiv, dass die Methode einen tendenziell (zu) optimistischen oder hohen Unternehmenswert generiert. Zusätzlich führe ich einige Beispiele an, die sich für die jeweilige Methode nach meiner persönlichen Erfahrung eignen oder nicht eignen.
Die bilanzbasierte Methode stellt nach meiner Erfahrung, wenngleich nicht immer, den defensivste Ansatz dar. Gerade beim Liquidationswert, aber auch nach dem Reproduktionskostenverfahren „zählt“ ihr nur das, was an Vermögenswerten existiert. Die Ertragskraft durch einen starken Kundenstamm oder aber auch der immaterielle Vermögenswert einer selbstentwickelten, populären Marke spielen darin kaum eine Rolle, sodass der „wahre“ innere Wert leicht unterschätzt werden kann.
Interessant (und wichtiger: für mich mit meinen laienhaften Fähigkeiten anwendbar) ist diese Methode vor allem dann, wenn ein Unternehmen vor der Pleite steht. Nehmen wir an, der Cafébesitzer musste Insolvenz anmelden und will das Unternehmen für 30.000 € verkaufen. Sämtliche Vermögenswerte haltet ihr für nahezu wertlos; allerdings schätzt ihr den Wert von Grundstück und Immobilie auf 300.000 €. Nach Abzug der Schulden in Höhe von 200.000 € verbleibt ein Liquidationswert von 100.000 €, d.h. ihr kauft das Café für günstige 30.000 €. Genau so investierte übrigens Warren Buffetts Lehrer Benjamin Graham.
Bereits deutlich offensiver gestalten sich Ertragswert- und discounted cash flow-Verfahren. In dem so ermittelten Unternehmenswert spiegeln sich Kundenstamm, Popularität der Produkte und Markenstärke wider, denn alle drei steigern die Ertragskraft. Die Methode lässt sich im Grunde genommen sowohl auf privaten Märkten (wie beim Cafékauf, sofern die Bücher ordnungsgemäß geführt sind) als auch öffentlichen Märkten wie der Börse anwenden. In letztgenannten Fällen sind die Unternehmen sogar verpflichtet, GuV, Bilanz und Kapitalflussrechnung zu veröffentlichen.
Innerhalb dieser Methodensammlung verfügt ihr über zahlreiche Möglichkeiten, defensiver oder offensiver vorzugehen. Ein defensiveres Vorgehen wählt ihr beispielsweise, indem ihr einen nachhaltigen Jahresüberschuss errechnet und annehmt, dass dieser in Zukunft nicht wachsen wird. Umgekehrt ermöglichen euch (hoffentlich fundierte) Annahmen zum Gewinnwachstum, offensiver zu rechnen und auf einen höheren Unternehmenswert zu kommen. Je offensiver eure Annahmen, desto eher wird der so ermittelte faire Aktienkurs über dem aktuellen Kurs liegen.
Die relative Bewertung mittels multiples ist, zumindest nach meiner persönlichen Erfahrung, die offensivste Methode. Durch die Auswahl des multiples (KGV, KBV, KUV, etc.) und der Vergleichsunternehmen eröffnen sich euch hier zahlreiche Gestaltungsspielräume, euch selbst und eure Handelspartner von einem zu hohen oder zu niedrigen Preis zu überzeugen. Weichen die Vergleichsfirmen bei genauer Betrachtung doch voneinander ab – z.B., weil sie in Zeiten des lockdowns den Besitzer wechselten und sehr billig waren – kann das Verkaufsangebot des Cafébesitzers z.B. völlig überzogen wirken.
Dennoch gibt es Situationen, die euch zur Nutzung der relativen Bewertung zwingen. Ein schönes Beispiel dafür sind Existenzgründer: Benötigt ein Start-up frisches Kapital, muss es sich mit den Investoren auf einen Kaufpreis je Anteil, also auf einen Unternehmenswert einigen. Die Vermögenswerte von Start-ups sind zumeist vernachlässigbar und in den ersten Jahren fallen auch selten Gewinne an. Der Wert des Start-ups steckt vielmehr in der Geschäftsidee und der Wachstumsphantasie, die man am ehesten z.B. an erwarteten Umsätzen sehen und mit einem Umsatz-Multiple in einen Unternehmenswert übersetzen kann.
Fazit: Mit der bilanzorientierten Methode, Ertragswert/discounted cash flow und der relativen Bewertung haben sich drei unterschiedliche Ansätze zur Ermittlung des fairen Unternehmenswerts etabliert. Sie reichen vom sehr defensiven Liquidationswert, der die Ertragskraft vernachlässigt, bis hin zum äußerst offensiven Umsatz-Multiple, der Aufwände und Steuern ignoriert.